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Kontroverse um "Eugenik"-Aussagen:
Kassenärztliche Vereinigung
Sachsen distanziert sich

Richard Krauss

29. Aug. 2024

Nach scharfer Kritik an seinen Äußerungen zu genetischen Diagnosen sieht sich KVS-Chef Klaus Heckemann mit Rücktrittsforderungen konfrontiert.

Die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen (KVS) befindet sich in einer ernsten Kontroverse aufgrund eines Editorials ihres Vorsitzenden Klaus Heckemann. In der Mai/Juni-Ausgabe der KVS-Mitteilungen sprach Heckemann über die Möglichkeit, durch Genanalysen bei Eltern die Geburt von Kindern mit schweren Erbkrankheiten zu verhindern. Er bezeichnete diese Möglichkeit als eine Form von "Eugenik" im "besten und humansten Sinn" und regte eine gesellschaftliche und ethische Debatte darüber an.


Heckemanns Verwendung des Begriffs "Eugenik" stieß auf breite Kritik, da dieser Begriff eng mit den Verbrechen des Nationalsozialismus verbunden ist, insbesondere mit Zwangssterilisationen und der Ermordung von Menschen mit Behinderungen.


Kritiker, darunter der Bundesverband Mukoviszidose, die Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE), die Landesärztekammer Sachsen und die sächsische Sozialministerin Petra Köpping, verurteilten seine Aussagen als unethisch und unvereinbar mit den Grundsätzen ärztlicher Ethik.


Der Hauptausschuss der KVS distanzierte sich deutlich von Heckemanns Äußerungen und betonte, dass diese eine persönliche Meinung des Vorsitzenden darstellten. Der Ausschuss kritisierte, dass das Editorial trotz vorheriger Warnungen veröffentlicht wurde, und kündigte an, den Vorfall intern weiter zu untersuchen und mögliche Konsequenzen zu prüfen. Die Landesärztekammer Sachsen betonte zudem, dass das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in keiner Weise durch wirtschaftliche Überlegungen infrage gestellt werden dürfe.


Zusätzlich wurde bekannt, dass Heckemann bereits in der Vergangenheit mit provokanten Äußerungen, wie etwa 2022 in Bezug auf Aktivisten der "Letzten Generation", für Aufsehen gesorgt hatte


Quelle: Ärztezeitung, Evangelische Zeitung


Hintergrund:  Bereits 1933 verabschiedeten die Nationalsozialisten das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses", das die Zwangssterilisation von Menschen ermöglichte, die als genetisch minderwertig angesehen wurden. Im Zuge dieses Gesetzes wurden bis 1945 etwa 400.000 Menschen sterilisiert, darunter Personen mit körperlichen und geistigen Behinderungen, Epilepsie, Schizophrenie, und anderen Krankheiten, die als vererbbar galten.


Neben der Zwangssterilisation wurde die nationalsozialistische Eugenik durch das sogenannte "Euthanasie"-Programm weiter verschärft. Dieses Programm, das 1939 unter dem Decknamen "Aktion T4" startete, zielte darauf ab, Menschen mit schweren Behinderungen systematisch zu ermorden, da sie als "lebensunwertes Leben" betrachtet wurden.


Die Tötungen erfolgten durch Vergasung, Injektionen und gezielte Vernachlässigung in spezialisierten Einrichtungen. Etwa 70.000 Menschen wurden im Rahmen dieses Programms ermordet, bevor es 1941 nach öffentlichen Protesten offiziell eingestellt wurde, jedoch inoffiziell bis zum Kriegsende fortgesetzt wurde.


Die ideologische und praktische Verbindung zwischen der nationalsozialistischen Eugenik und dem Holocaust ist besonders deutlich. Viele der Methoden und das Personal, das in den Euthanasie-Programmen eingesetzt wurde, fanden später Verwendung in den Vernichtungslagern, in denen Millionen von Juden, Roma, Sinti und anderen als "rassisch minderwertig" betrachteten Gruppen systematisch ermordet wurden.


Wissenschaftler und Ärzte spielten eine zentrale Rolle bei der Legitimation und Durchführung dieser eugenischen Programme. Ihre wissenschaftliche Autorität wurde genutzt, um die rassistischen und mörderischen Politiken des Regimes zu rechtfertigen. Nach dem Krieg wurden diese Verbrechen in den Nürnberger Prozessen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt.


Die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen führte zur Diskreditierung der Eugenik als wissenschaftliche Disziplin und war ein bedeutender Faktor in der Entwicklung moderner bioethischer Standards. Die Verstrickung von Wissenschaft und Ideologie im Nationalsozialismus zeigt, wie gefährlich es sein kann, wissenschaftliche Konzepte zu missbrauchen, um rassistische und totalitäre Politiken zu legitimieren und durchzusetzen.

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