Am 10. September jährt sich der Welt-Suizid-Präventionstag – ein Tag, der nicht nur Trauer und Gedenken an die Verstorbenen markiert, sondern auch dazu aufruft, die gesellschaftliche Wahrnehmung von Suizid zu verändern. Unter dem diesjährigen Motto „Changing the narrative on suicide“, zu Deutsch „Das Narrativ über Suizid verändern“, steht die Forderung im Mittelpunkt, wie wir als Gesellschaft über dieses sensible Thema sprechen, wie wir es verstehen und welche Maßnahmen getroffen werden müssen, um das Leben der Betroffenen zu schützen.
Die erschütternde Bilanz des vergangenen Jahres: In Deutschland starben im letzten Jahr 10.304 Menschen (mehr als 28 Menschen täglich) durch Suizid – eine Zahl, die zum zweiten Mal in Folge gestiegen ist und die höchste seit 1995 markiert. Diese Entwicklung verdeutlicht die Dringlichkeit einer gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Suizid. „Die Anzahl der Suizide ist jedoch nicht naturgegeben, sondern eine beeinflussbare Größe“, erklärt Barbara Schneider, die Sprecherin des Nationalen Suizidpräventionsprogramms (NaSPro).
Sie betont, dass die Art und Weise, wie wir über Suizid sprechen, einen erheblichen Einfluss auf die Prävention hat. Auch der Psychiater und Suizidforscher Reinhard Lindner sieht hier einen klaren Handlungsbedarf: „Es geht darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Suizide verhindert werden können. Dafür brauchen wir Wissen, gezielte Initiativen und vor allem eine umfassende gesellschaftliche Unterstützung.“
Die International Association for Suicide Prevention (IASP) erklärt das diesjährige Motto „Changing the narrative on suicide“ als Aufruf, wie wir dieses komplexe und oft stigmatisierte Thema wahrnehmen. Das Ziel: weg von einer Kultur des Schweigens und des Tabus, hin zu einer Kultur der Offenheit und des Mitgefühls. Dies bedeutet, dass wir uns nicht mehr scheuen dürfen, über Suizid zu sprechen. Betroffene müssen gehört werden, ohne Angst vor Verurteilung. Es ist ein gesellschaftlicher Auftrag, Menschen, die suizidale Gedanken äußern, nicht als „schwach“ oder „egoistisch“ abzustempeln, sondern ihre Not zu erkennen und ihnen zu helfen. Barbara Schneider fasst zusammen: „Suizidgedanken sind kein Tabu, sondern Ausdruck eines tiefen, emotionalen Leidens. Gespräche darüber helfen, diese Last zu mildern. Offene Kommunikation kann dazu beitragen, dass Betroffene den Weg zur Hilfe finden.“
Die psychische Gesundheit ist seit Jahren ein Bereich, der in Deutschland und vielen anderen Ländern zu wenig Beachtung findet. Obwohl die Belastungen durch psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen steigen, bleibt die Unterstützung in vielen Fällen unzureichend. Der Zugang zu Therapieplätzen ist oft schwierig, insbesondere in ländlichen Regionen. Wartezeiten von mehreren Monaten sind keine Seltenheit. Dies verschärft die Lage derjenigen, die sich in akuten Krisen befinden. Lindner fordert daher auch einen „systemischen Wandel“ in der Gesellschaft. „Wir müssen psychische Gesundheit als Priorität betrachten und dafür sorgen, dass Hilfe schnell und effektiv zugänglich ist.“ Dazu gehören nicht nur mehr Therapieangebote, sondern auch präventive Maßnahmen, wie eine verbesserte Aufklärung über psychische Gesundheit in Schulen und am Arbeitsplatz. Gleichzeitig betont er die Notwendigkeit, in die Forschung zu investieren, um bessere, evidenzbasierte Strategien zur Suizidprävention zu entwickeln.
Der Kampf gegen Suizid ist nicht nur eine Aufgabe des Gesundheitssystems. Es bedarf eines gesamtgesellschaftlichen Ansatzes. Familien, Freunde, Schulen, Arbeitgeber und soziale Einrichtungen – alle müssen sensibilisiert werden, um frühzeitig eingreifen zu können. Oft äußern Menschen in Not indirekte Signale, die von ihrem Umfeld übersehen werden. Doch offene Gespräche können Leben retten.
„Es geht darum, zuzuhören und nicht zu urteilen. Ein Mensch, der sich in einer suizidalen Krise befindet, braucht Mitgefühl, Verständnis und die Gewissheit, dass er nicht alleine ist“, so Schneider. Viele Maßnahmen zur Prävention können auf kommunaler Ebene verankert werden. Beispiele wie Schulungen für Lehrer, Kriseninterventionsteams oder kommunale Präventionsprojekte zeigen, dass gezielte Hilfsangebote auf lokaler Ebene einen bedeutenden Unterschied machen können.
Die Anzeichen für suizidales Verhalten sind nicht immer offensichtlich, doch es gibt Warnsignale, die darauf hinweisen können, dass jemand in einer akuten Krise steckt. Diese beinhalten: - Verbale Hinweise: Aussagen wie „Ich kann so nicht mehr weiterleben“, „Es wäre besser, wenn ich nicht mehr da wäre“ oder ähnliche Bemerkungen können ernstzunehmende Warnsignale sein. - Verhaltensänderungen: Ein plötzlicher Rückzug von sozialen Kontakten, der Verlust von Interesse an Aktivitäten oder das Verschenken von persönlichen Gegenständen können auf eine suizidale Gefährdung hinweisen. - Emotionale Veränderungen: Menschen, die von Hoffnungslosigkeit, tiefer Traurigkeit oder Schuldgefühlen sprechen oder ungewöhnlich ruhig wirken, nachdem sie zuvor sehr verzweifelt waren, sollten beobachtet werden. - Plötzliche Besserung: Manchmal wirkt eine Person plötzlich ruhiger oder gelassener, nachdem sie sich zuvor sehr schlecht gefühlt hat. Dies kann ein Warnzeichen dafür sein, dass sie sich für einen Suizid entschieden hat. Sollten Sie derartige Anzeichen bei jemandem bemerken, ist es wichtig, sofort Unterstützung anzubieten und professionelle Hilfe zu vermitteln. Ein offenes Gespräch kann oft einen entscheidenden Unterschied machen.
Der Welttag der Suizidprävention Seit 2003 wird der 10. September weltweit als Welttag der Suizidprävention begangen. Ziel ist es, das Bewusstsein für Suizidrisiken zu schärfen und über Möglichkeiten der Prävention aufzuklären. In Deutschland finden zahlreiche Veranstaltungen statt, die auf Hilfsangebote hinweisen und der Verstorbenen gedenken. Eine Übersicht über Veranstaltungen in Deutschland gibt es auf der offiziellen Webseite des Welttags der Suizidprävention. Diese Initiativen sind von zentraler Bedeutung, um das Thema Suizid in das öffentliche Bewusstsein zu rücken. „Es ist ein Tag der Solidarität, des Gedenkens und vor allem des Engagements, das Leben derjenigen zu schützen, die sich in suizidalen Krisen befinden“, erklärt Lindner.
Ein weiterer relevanter Aspekt ist der deutliche Unterschied zwischen den Geschlechtern. Männer haben in allen Regionen eine signifikant höhere Suizidrate als Frauen. Dies liegt unter anderem daran, dass Männer tendenziell riskantere Methoden wählen und seltener professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Darüber hinaus sind ältere Menschen besonders stark betroffen, wobei Suizidraten bei Menschen über 50 Jahren in fast allen Bundesländern höher sind. Einsamkeit, chronische Krankheiten und der Verlust des Partners spielen hier oft eine entscheidende Rolle. Auch bei jungen Menschen unter 30 gibt es in einigen Regionen signifikante Fallzahlen, insbesondere in Gebieten mit sozialen Problemen oder hoher Arbeitslosigkeit.
In Deutschland zeigen die Suizidraten deutliche regionale Unterschiede, wobei die höchsten Raten in den ostdeutschen und ländlichen Bundesländern zu finden sind. Laut Statistiken gehören Sachsen-Anhalt, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg regelmäßig zu den Bundesländern mit den höchsten Suizidraten.
In Sachsen-Anhalt liegt die Suizidrate seit Jahren an der Spitze der deutschen Bundesländer. Im Jahr 2023 wurden dort etwa 15,5 Suizide pro 100.000 Einwohner verzeichnet, was deutlich über dem Bundesdurchschnitt von ca. 11,0 pro 100.000 liegt. Thüringen weist ähnlich hohe Werte auf, mit einer Suizidrate von etwa 14,0 pro 100.000 Einwohner. Auch in Mecklenburg-Vorpommern liegt die Rate mit rund 13,5 pro 100.000 Einwohner über dem Durchschnitt. In Brandenburg sind es etwa 13,0 pro 100.000 Einwohner.
Im Vergleich dazu liegen westdeutsche Bundesländer wie Bayern und Stadtstaaten wie Berlin unter diesen Werten, haben aber dennoch relevante Suizidraten. In Bayern, einem der größten und bevölkerungsreichsten Bundesländer, liegt die Suizidrate bei etwa 10,5 pro 100.000 Einwohner. Auch wenn Bayern im Vergleich zu den ostdeutschen Bundesländern niedrigere Raten aufweist, bleibt Suizid auch hier ein ernstzunehmendes Problem. In der Hauptstadt Berlin, die eine urbane und multikulturelle Bevölkerung hat, beträgt die Suizidrate etwa 9,5 pro 100.000 Einwohner. Hier bieten der bessere Zugang zu medizinischen und psychischen Gesundheitsdiensten sowie die dichtere soziale Vernetzung möglicherweise Schutz, führen aber nicht zu einer vollständigen Vermeidung von Suiziden.
Hilfe und Unterstützung bei Suizidgedanken
Wenn Sie selbst oder jemand in Ihrem Umfeld von Suizidgedanken betroffen sind, zögern Sie nicht, Hilfe zu suchen. Folgende Stellen bieten Unterstützung an:
Telefonseelsorge Deutschland: Unter den kostenlosen Rufnummern 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 erreichen Sie rund um die Uhr geschulte Berater.
Nummer gegen Kummer (für Kinder und Jugendliche): 116 111
Deutsche Depressionshilfe: Informationen und Beratung unter 0800 33 44 533.
Online-Beratung: www.telefonseelsorge.de (anonym, kostenlos und rund um die Uhr)
Es ist wichtig, dass Sie wissen: Sie sind nicht allein, und es gibt Menschen, die Ihnen helfen möchten.
Comments